Ein breiter Graben und weit und breit kein langer Balken, um eine Brücke zu bauen. Die einzigen Holzstücke, die sich finden lassen, sind viel zu kurz. Was tun?
Fragt Annette Spiro im Vorwort zu Udo Thönnissens Buch Hebelstabwerke, und das titelgebende Tragsystem ist natürlich die Antwort. Es ist gleichzeitig ein faszinierendes Beispiel für eine historische Bauart, die ein wenig in Vergessenheit geraten ist.
Hebelstabwerke beschäftigen und begeistern uns im Ingenieurbüro schon eine Weile. Das oben genannte Buch gehört zu unseren Lieblingsbüchern und wir haben auch schon Hebelstabwerke berechnet und konstruiert: 2005 den Leonardobogen und kürzlich zwei kleine Pavillons:
Was sind Hebelstabwerke?
Hebelstabwerke sind Tragwerke, die aus sich gegenseitig tragenden Stäben aufgebaut sind.
Ein kleiner Exkurs:
Um den genannten Graben zu überspannen, gibt es statisch gesehen grundsätzlich drei Möglichkeiten:
Lastabtrag über Biegung – z.B. das Balkentragwerk
Lastabtrag über Druck – z.b. der Druckbogen
Lastabtrag über Zug – z.B. die Hängebrücke
Beim Hebelstabwerk werden die Stäbe so kombiniert, dass sie nicht Druck oder Zug erhalten, sondern ausschließlich Biegung. Dazu werden Stäbe nicht, wie beim Fachwerk, an den Stabenden gestoßen, sondern ein Stab liegt auf dem Nächsten mittig oder seitlich auf. Es ergeben sich ganz eigene Besonderheiten. Nachteilig ist, dass Druck und Zug effizienter im Lastabtrag sind. Vorteilhaft ist, dass der Hebelstoß einfacher herzustellen ist.
Und ganz entscheidend: Das Hebelstabwerk braucht die Ausdehnung in die Höhe nicht, es ist eine Variante des Balkentragwerks, die statisch wirksame Höhe des Hebelstabwerks entspricht der Höhe der einzelnen Stäbe.
Das ist unsere Entdeckung im Jahr 2020: Ein zur Fläche zusammengesetztes Hebelstabwerk ist statisch gesehen 2‑dimensional und kann wie eine Decke ausgebildet werden.
Ansonsten gibt es für ebene Tragwerke nur die bekannte Balkenlage (z.B. die Deckenbalken) und zweiachsig gespannte Massivdecke (z.B. aus Stahlbeton oder Brettsperrholz). Das Hebelstabwerk ist die dritte Möglichkeit ein ebenes Tragwerk auszubilden – und eine besonders schöne dazu!
Ein einfaches Modell ist schnell gebaut: Wir beginnen mit einem Sperrholzstreifen, der zwei Öffnungen in der Mitte hat und zwei passenden Verjüngungen am Ende.
Aus diesem Element können eine Vielzahl von Deckensystemen zusammengesteckt werden:
Probieren Sie es aus! Sie werden erstaunt sein, wie tragfähig das Hebelstabwerk als Deckensystem ist:
Sie werden herausfinden, dass nicht jede ebene Kombination ein Hebelstabwerk ist. Wir haben hier ein paar funktionierende Varianten zusammengestellt, viele ähneln einem Fliesenmuster:
Viel Spaß beim Entwerfen und Konstruieren!
Weiterführende Informationen:
Thönnissen: Hebelstabwerke (Buch)
Bertin: Hebelstabwerke (PDF)
Hinzmann: Erzeugung von Hebelstabwerken für triangulierte Flächen (PDF)